Around the World

„Kein Protest, eine Revolution“

// Ingrid Kapeller //
Im Iran kämpfen Frauen weiterhin für ihre Rechte.
Einen Monat nach Beginn der Proteste im Iran gegen die Sittenpolizei, die für den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini verantwortlich sein soll, verhängt die EU Sanktionen gegen die Sittenpolizei und zehn andere Organisationen und Institutionen des Landes. Zu den Sanktionen zählen Vermögenseinfrierungen sowie Einreiseverbote von Verantwortlichen, das haben die EU-Außenminister*innen Mitte Oktober bei einem Treffen in Luxemburg beschlossen. Hält die Gewalt im Iran weiter an, werden weitere Sanktionspakete folgen, versichert die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Bei den Protesten im Iran sind bereits mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen, weil sie für die Rechte und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen auf die Straße gingen, mehrere Hundert wurden inhaftiert. Iranische Aktivist*innen auf der ganzen Welt zeigen sich vermehrt kämpferisch, so auch Shohreh Bayat, die in London lebt. Sie hält in einem Interview mit der BBC fest: „Es handelt sich nicht mehr um einen Protest. Es ist eine Revolution. Es ist sehr wichtig, dass die Welt auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Wir kämpfen für Freiheit, für Frauen- und für Menschenrechte.”

ëres young

Was ist ein Frauenleben wert?

// Kathinka Enderle //
Weltweit schockiert aktuell vermutlich kein Tod so sehr wie der von Mahsa Amini, einer 22-jährigen Jura-Studentin aus dem Iran. Ihr Tod war der tragische Anfang einer Frauenrechtsbewegung, deren Hintergrund seit Jahrzehnten viel tiefer liegt.
Mahsa Amini besuchte mit ihrer Familie ihren Bruder in Teheran, als sie gewaltsam von der Sittenpolizei in einen Polizeiwagen verfrachtet wurde und man sie zur „Umerziehung“ und „Korrektur“ brachte. Zwei Stunden nach ihrer Festnahme wurde sie in das Krankenhaus von Kasra gebracht und lag dort drei Tage im Koma, bis sie verstarb. Der Grund für ihre Festnahme war „das falsche/lockere Tragen ihres Hijabs“, da man ihren Haaransatz sehen konnte. Von der Polizei wurde ihr in der eigens vorgesehenen Anstalt so lange auf den Kopf geschlagen, bis sie Hirnblutungen erlitt und schließlich ihren Verletzungen erlag. Der Staat bestreitet die Verursachung ihres Todes und nennt als Grund dafür eine Vorerkrankung. Ein veröffentlichter CT-Scan zeigt jedoch deutlich einen Schädelbruch, auch die sichtbaren Blutungen aus ihrem Ohr und die blauen Flecken unter ihren Augen sind ein eindeutiges Zeichen für die Gewalt, welche die Polizei ihr während ihrer Festnahme skrupellos zufügte.
Die junge Iranerin ist nicht die einzige, welche die Innenräume dieser Haftanstalt zu sehen bekam. Vieles, was hierzulande zu einem normalen Jugendleben dazu gehört, wird im Iran wegen „unmoralischem Verhalten“ bestraft. Partys besuchen, Alkohol trinken und mehr führten dazu, dass zahlreiche junge Iraner*innen in Haftanstalten verhört, ausgepeitscht und vergewaltigt wurden. Kommt es dabei zu Todesfällen, sorgt die Sittenpolizei dafür, dass nicht nur die Familien nicht mehr reden – auch die Leichen sollen nicht mehr sprechen. Das Bedrohen der Familien oder das Zubetonieren der leblosen Körper (für die Vernichtung von Beweisen) gelten als das Standard-Prozedere der Polizei. Aminis Familie widersetzte sich und begrub ihre Tochter in Saqqez, Kurdistan.
Seit ihrem Tod protestierten zahlreiche Iraner*innen im eigenen Land sowie auch international. Viele iranische Schauspielerinnen und Prominente solidarisierten sich und posteten im Internet Videos, in denen sie sich ihre Haare abschnitten. Der Ruf nach Transparenz und die Forderungen nach Freiheit, Gerechtigkeit und dem Ende des Patriarchats wurden immer größer. Daraufhin beschloss die iranische Regierung, das Internet abzuschalten. Ab diesem Moment fielen noch mehr Schüsse auf Demonstrant*innen, Häuser wurden gestürmt, Menschen entführt und verhaftet. Videos wurden trotz allem veröffentlicht, welche klar zeigen, wie die Polizei Menschen durch die Straßen schleift. Der Versuch, das Patriarchat zu beenden, lässt Blut auf Irans Straßen fließen.
Die Proteste wurden zu einer Bewegung, in der es ums (Auf)Atmen geht: vor allem für die Frauen, die durch die Regierung seit mehr als 40 Jahren unterdrückt werden. Irans Volk ist vereint im Zorn und resolut gegenüber ihren Postulaten. Seit dem 16. September führen Frauen die Proteste an, verbrennen ihre Hijabs als symbolisches Zeichen gegen die männerdominierte Herrschaft, durch die sie seit 1979 unterdrückt werden.
Auch hier in Südtirol solidarisierte man sich mit den iranischen Frauen, wie beim Frauenmarsch – Donne in Marcia am 15.Oktober 2022.

Es ist eine vielseitige Vergangenheit, in der viel aufgearbeitet werden muss. Begriffe wie Privileg, Macht und Ungerechtigkeit dürfen auch uns Südtiroler*innen nicht länger unbekannt bleiben. Im Schmerz, der Trauer und dem Zorn sollten Frauen, wenn eine Weitere so erbarmungslos genommen wird, vereint sein. Die Revolution im Iran ist ein Zeichen des Feminismus. Gesichter und Geschichten verändern sich, aber der Ruf nach Freiheit bleibt unmissverständlich – im Iran und auf der gesamten Welt.