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Kolumne

Der weibliche Herr Premierminister

// Alexandra Kienzl //
Mit Giorgia Meloni hat Italien endlich eine Frau an der Spitze. Nur nützen wird es uns nichts.
Manchmal wäre ich gern der Dalai Lama. Nicht nur, weil ich mir dann keine Gedanken mehr darüber machen müsste, was ich anziehen soll. Ich wäre dann auch optimistischer gestimmt, was Giorgia Meloni betrifft. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen von Natur aus empathischer und warmherziger seien. Daher freue es ihn, dass Italien einen weiblichen Premierminister habe, so hieß es in seinem Gratulationsschreiben. Nun ja. So angenehm es auch wäre, dank X-Chromosom zu den besseren Menschen zu gehören, so wohltuend zu glauben, dass Meloni als Frau automatisch vor allem soziale Anliegen habe, so gaga ist das leider auch. Zum einen ist die Frau Postfaschistin, was dem Dalai Lama wohl entgangen sein muss, zum anderen hätte ein Blick in die Runde der Amtskolleginnen genügt, um seine Theorie Lügen zu strafen: Weder Margaret Thatcher noch die glücklose Liz Truss sind etwa durch besondere Warmherzigkeit aufgefallen, um nur zwei zu nennen. Trotzdem könnte man sich natürlich darüber freuen, dass es in Italien nun zum ersten Mal in der Geschichte einen weiblichen Premier gibt. Oft genug wurden wir Frauen letzthin dazu aufgefordert, ob in Talkshows oder privaten Gesprächen: Jetzt werdet ihr doch endlich mal zufrieden sein!?

Wieder: Nun ja. Natürlich tut es gut, diese zierliche Frau an der Spitze des Staates zu sehen anstatt des üblichen mittelalten Krawattenträgers. Natürlich ist es höchste Zeit dafür, dass frau ans Ruder kommt. Aber weitaus wichtiger wäre es, dass Meloni nicht nur äußerlich, sondern vor allem inhaltlich Frauen repräsentiert, und das scheint leider nicht der Fall zu sein. Vielmehr inszeniert sie sich als politisches Pick-Me-Girl, als Frau, die anders ist als andere Frauen, die nach den Spielregeln der Männer spielt und das Patriarchat zementiert anstatt es zu erschüttern. Sie geht Bündnisse mit Männern ein, deren Frauenbild als zweifelhaft zu bezeichnen noch schmeichelhaft ist, besetzt ihre Regierungstruppe zu zwei Dritteln mit Männern (die Regierung Renzi bestand zur Hälfte aus Frauen) und benennt das „Ministero delle pari opportunità e della famiglia” ins „Ministero della famiglia, della natalità e delle pari opportunità” um, was unwillkürlich an Margaret Atwoods Roman „The Handmaid’s Tale“ denken lässt: eine Dystopie, in der Frauen auf ihre Gebärfähigkeit reduziert werden.
Nicht genug, steht dem Ministerium mit Eugenia Maria Roccella eine Frau vor, die nicht gerade im Verdacht steht, sich für die weibliche Selbstbestimmung einzusetzen. Ultrakonservativ, gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften, gab sie denn auch gleich zu Protokoll, sich vor allem für die Steigerung der Geburtenrate und die Aufwertung der Mutterschaft einsetzen zu wollen. Zurück zu Kind und Kegel also, für die „patria“.

Dass Meloni gar kein Interesse daran hat, Wegbereiterin für andere Frauen zu sein, zeigt auch ihr geradezu lachhafter Begehr, mit „il Signor Presidente“ betitelt zu werden, obwohl mit „la Presidente“ eine grammatikalisch korrekte weibliche Form existiert. Lieber, als das bis dato ausnahmslos von Männern besetzte Amt in eine weibliche Version zu überführen und ihm damit wohl in ihren Augen an Prestige und Wichtigkeit zu rauben, verbiegt sich Meloni, die im Wahlkampf noch „Io sono Giorgia, sono una donna, sono una madre“ tönte, dahingehend, dass sie als „Herr“ angesprochen werden will. Weil sie das Amt durch die patriarchale Brille sieht, weil sie selbst Teil des patriarchalen Systems ist und ihr Aufstieg als singuläres Ergebnis harter Arbeit in einer Männerwelt interpretiert werden soll und nicht etwa als ein Zeichen dafür, dass die Welt weiblicher wird und sich dementsprechend verändert. Von einer Frau, die – oben angekommen – nicht als solche wahrgenommen werden will, ist in punkto Frauenpolitik nicht viel zu erwarten.

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Weder Rache, noch Porno

// Ingrid Kapeller //
Rund zwei Millionen Menschen in Italien
sind Opfer von der Verbreitung oder Verwendung intimer Bilder und/oder Videos ohne ihre Einwilligung – eine Form der Gewalt, die unter dem irreführenden Begriff
„Revenge Porn“ bekannt ist.
Werden intime, sexuelle Bilder und/oder Videos ohne Einverständnis der darauf zu sehenden Personen veröffentlicht, verbreitet oder verkauft, spricht man umgangssprachlich (fälschlicherweise) von „Revenge Porn“, auf Deutsch: Racheporno. Eine Form der digitalen sexuellen Gewalt, die in Italien weit verbreitet und seit 2019 strafbar ist.
Dass nur von prominenten Menschen entsprechende Bilder oder Videos in Umlauf gesetzt werden, wie etwa das Sex-Tape von Pamela Anderson und Tommy Lee 1995, das gestohlen und ohne ihr Einverständnis verkauft und veröffentlicht wurde, stimmt nicht.
Denn Schätzungen zufolge sind in Italien rund zwei Millionen Menschen Opfer von der Verbreitung von Nacktfotos oder Sexvideos ohne ihre Einwilligung – etwa 70 Prozent der Betroffenen in Italien sind Frauen, circa 90 Prozent derjenigen, die intimes Bildmaterial veröffentlichen und verbreiten, sind weltweit Männer.
Während der Pandemie haben entsprechende Fälle Angaben der Postpolizei zufolge deutlich zugenommen. So wurden 2021 im Vergleich zum Vorjahr 78 Prozent mehr Fälle angezeigt. Im Internet finden sich unzählige Webseiten, die nur davon leben, dass Menschen ohne Einwilligung private und sexuelle Bilder oder Videos von Personen hochladen. Manche davon spezialisieren sich sogar auf Frauen in einer ganz bestimmten Rolle, der Exfreundin zum Beispiel. Und auch in den Sozialen Medien kursiert das Material und wird fleißig geliked und geteilt. Facebook musste 2019 beispielsweise eine halbe Million Beiträge pro Monat (!) daraufhin prüfen, ob es sich bei dem Gezeigten um (un)einvernehmliche Verbreitung von privaten, sexuellen Inhalten handelt.
Genaue Zahlen für Südtirol liegen derzeit noch nicht vor. In dem 2019 gestarteten Forschungsprojekt „Creep“ der Freien Universität Bozen soll das Phänomen jedoch genauer analysiert werden – in Südtirol und international.

Der Name „Revenge Porn“ oder „Racheporno“ ist auf Englisch als auch in Deutsch mehr als irreführend und beschwichtigend (siehe auch ëres 1/2021). Denn beim Veröffentlichen und Verbreiten von intimen, sexuellen Bildern oder Videos geht es weder um Rache noch um Pornographie. Einerseits hat diese Straftat mit Pornographie wenig am Hut, da pornographisches Material einvernehmlich und für ein breiteres Publikum bestimmt produziert wird. Andererseits wird mit dem Begriff „Rache“ suggeriert, dass das unrechtmäßige Verbreiten des Materials eine Reaktion auf ein Fehlverhalten sei und das Veröffentlichen dementsprechend gerechtfertigt wäre. Ein Trugschluss. Denn nichts, rein gar nichts, entschuldigt den Angriff auf die Würde und den Eingriff in die Intimsphäre eines Menschen durch das Verbreiten privater Bilder, auch kein „Fehlverhalten“, das nur in den Augen der Täterperson eines ist.
Bei dieser Form der Gewalt, dem unerlaubten Verbreiten und Veröffentlichen intimer Bilder, geht es also um Kontrolle, Macht und Besitz. Welche Art der Macht ausgeübt wird, variiert. Die Präsidentin der Kontaktstelle gegen Gewalt GEA, Christine Clignon, hält fest, dass das Phänomen Frauen in allen Altersklassen betrifft, die Gründe privates Bildmaterial zu veröffentlichen aber je nach Alter verschieden sein können. „Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird ein privates Bild meistens veröffentlicht und verbreitet, um sich damit zu brüsten. Ein intimes Bild wird einer Trophäe gleichgesetzt. Bei erwachseneren Frauen wird sexuelles Bildmaterial oft zur Erpressung eingesetzt, als Drohung und damit als Mittel der Kontrolle – der Frau, ihrer Sexualität und ihrer Beziehungen.“
Dabei ist das Verbreiten intimer Bilder ohne Einverständnis eine Straftat. Zwischen 5.000 und 15.000 Euro und bis zu sechs Jahren Haft droht Täterpersonen bei der unerlaubten Verbreitung des Materials. Das ist im „Codice Rosso“ von 2019 unter Artikel 10 des Gesetzes 69 festgehalten, wo die Verbreitung und Verwendung intimer Bilder und Videos ohne Einwilligung der Betroffenen als Straftat geregelt und als eine Form der Gewalt anerkannt wird. Denn Studien belegen, dass sich Folgen von digitaler sexueller Gewalt mit jenen von physischen sexuellen Übergriffen decken und verheerende Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit Überlebender haben.

Die Bildungswissenschaftlerin Chiara Orri, diesjährige Zweitplatzierte der Auszeichnung von wissenschaftlichen Arbeiten zur Gleichstellung der Frau vom Landesbeirat für Chancengleichheit, hat sich in ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Diffusione non consensuale di immagini e/o video intimi online: analisi e approfondimento di una nuova forma di cyber-violenza e confronto con la realtà degli interventi a tutela delle persone colpite“ mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Orri erklärt: „Eine meiner Schlussfolgerungen ist, dass ein Gesetz, das die Verbreitung von intimen Bildern ohne Einwilligung bestraft, sehr wichtig ist. Aber es muss noch mehr passieren, um dieser Form von Gewalt ein Ende zu bereiten. Das Gesetz muss spezifischer werden und dann auch konkret und im Sinne der Opfer angewendet werden.“. Orri erläutert weiters, dass Betroffene oft sekundäre Viktimisierung erfahren, wenn sie über ihre Erfahrungen sprechen. Das heißt, sie werden zusätzlich noch von der Gesellschaft verurteilt, weil die Bilder in erster Linie aufgenommen wurden und auf diese Weise Sexualität ausgedrückt wird. Dieser doppelten Viktimisierung gilt es entgegenzuwirken, denn sie verdreht Tatsachen und spielt das patriarchalische Spiel im Sinne der Täter-Opfer-Umkehr mit. Das Problem sind nicht Menschen, die intime Bilder von sich selbst machen, sondern diejenigen, die sie missbrauchen. Denn weibliche Lust und Sexualität in Bildern auszudrücken, ist kein Vergehen – die Stigmatisierung und der Missbrauch davon aber schon.


Werden intime Bilder und/oder Videos verschickt, sollte dennoch auf einen aufmerksamen Umgang damit geachtet werden. Einmal verschickt, hat man keine Kontrolle mehr darüber, was mit dem Material geschieht. Daher ist auch die Dokumentation der Unterhaltung, mittels Screenshots zum Beispiel, sehr wichtig, um später eventuell Beweise zu haben. Weiters sollte darauf geachtet werden, dass das Gesicht auf dem intimen Material nicht zu erkennen ist. Im Falle einer Verbreitung des Materials ohne Einwilligung kann man sich an Gewaltschutzzentren wenden, die emotionale Unterstützung leisten und bei einer eventuellen Anzeige bei der Postpolizei helfen. Um eine potenzielle rasante Verbreitung im Netz zu bremsen, sollten entsprechende Schritte und Maßnahmen möglichst zeitnah erfolgen.