Think
Young
Die Kluft zwischen Verständnis und Hass *Sudes Abtreibung
// Kathinka Enderle //
Es gibt Interviewpartner*innen, mit denen sich ein Gespräch manchmal gar nicht so leicht gestaltet. Mit Sude ist es anders. Sie ist wie ein Sonnenschein und erzählt munter von ihrem Leben. Dabei lacht sie, als hätte sie nicht Wochen und Monate voller Ängste und Zweifel hinter sich. Sude ist eine 23-jährige muslimische junge Frau. Ihre Eltern kommen aus der Türkei, geboren wurde sie allerdings in Südtirol. Nun studiert sie in Österreich Elektrotechnik und arbeitet dort in einem Krankenhaus. Ihren Kaffee rührt sie mit einem Lächeln, das von den Tiefen ihrer grünen Augen fast ablenkt.
*Name wurde geändert
Das Leben davor
„Ich komme aus ärmsten Verhältnissen und hüpfte von einem Job zum nächsten. Meine Familie habe ich bereits als Jugendliche finanziell unterstützt. Mit 20 lernte ich meinen Mann kennen und wusste, dass meine Seele ihr Gegenstück gefunden hat. Ein Jahr nach der Hochzeit, als ich mit 22 trotz Verhütung ungewollt schwanger wurde, fühlte ich mich, als ob man mir den Boden unter den Füßen wegreißen würde. Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir und wollte nie jung Mama werden. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt möchte. Als ich zittrig im Badezimmer wartete, habe ich zu meinem Gott gebetet, dass er mir helfen soll. Ich sah die zwei roten Striche und wusste, was das für meine Zukunft bedeuten würde. Zu meinen Plänen gehört es nicht, in diesem Alter ein Kind auszutragen. Ich spürte die Angst, wie sie ganz fest versuchte, mich in den Abgrund zu reißen. Alles in mir sträubte sich gegen diese Schwangerschaft. Mein Mann sah mir die Angst an. Seine primäre Angst war, mich durch die Folgen einer Schwangerschaft und Geburt zu verlieren. Mein Wohlergehen war für ihn wichtiger als alles andere.“
Der Abbruch
„Vor der Abtreibung fühlte ich mich schwach. Ich fürchtete mich vor den Komplikationen. Was, wenn ich es emotional nicht überlebe? Tausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Als der Fötus vier Wochen alt war, bekam ich ein Medikament zur Abtreibung. Unterleibsschmerzen, vaginale Blutungen, Kopfschmerzen und Übelkeit waren die Begleitsymptome. Ich habe mich oft gefragt, ob es die richtige Entscheidung war. Unter den damaligen Umständen konnte ich einem Kind keine sichere Zukunft bieten. Ich wollte nicht, dass sich meine familiären Umstände wiederholen. Ich bin dementsprechend froh, dass ich über meinen Körper entscheiden durfte. Meine Gesundheit ist mir wichtig. Es war nicht leicht, aber jetzt versuche ich nach vorne zu blicken und mir mit meinem Mann das Leben zu erfüllen, das ich mir als Kind immer wünschte.“
Liebe – Verachtung
„Meine Familie und engsten Freunde haben mich unterstützt. Mir ging es nach dem Abbruch nicht gut. Besonders mein Ehemann gab mir das Gefühl von Sicherheit und Liebe und nahm sich Urlaub, um mich wieder auf die Beine zu bekommen. Meine Oma hingegen hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Für sie verstoße ich gegen unsere Kultur.“
Der Islam
„Abtreibungen sind im Islam unter bestimmten Voraussetzungen vor dem Einziehen der Seele (120 Tage) erlaubt. In erster Linie spielt das Leben der Frau eine wichtigere Rolle als das Leben des ungeborenen Kindes. Während der Islam Frauen das Recht zur Entscheidung gibt, ist meine Kultur dagegen. Deshalb wurde ich von meiner Oma als ‚Mörderin‘ abgestempelt.“
Sudes Wunsch
„Mir ist wichtig, dass über Abtreibungen mehr gesprochen wird. Viele Frauen haben nicht den Mut dazu darüber zu reden, geschweige denn ihren Familien davon zu erzählen. Es ist nach wie vor ein Tabuthema, welches dringend normalisiert werden sollte. Eine Abtreibung wird im Leben einer Frau immer Platz einnehmen. Daher benötigt es mehr Verständnis der Gesellschaft. Ein Perspektivwechsel ist notwendig.“*Name wurde geändert